Kollodiumbilder - handgemachte Unikate.
Schauspieler im eigenen Film.
Normalerweise fotografieren wir im Bruchteil einer Sekunde. Das Leben spielt sich vor uns ab und – zack – hält man diesen einen, im Bewegungsablauf normalerweise unsichtbaren, Moment im Foto fest, friert ihn ein. Mit dem sehr lichtschwachen Kollodiumverfahren aus dem 19. Jahrhundert ist das anders - damit nehme ich im Prinzip einen kleinen Film auf. Was vor mir passiert, sind 10 oder 20 Sekunden im Leben dieses Menschen. Während mein Modell da sitzt und versucht, sich nicht zu bewegen, geht etwas vor. Der Mensch vor der Kamera atmet, das Herz schlägt einige Male…
Laut der Zeitforschung umfasst unsere Wahrnehmung der Gegenwart ein Intervall von etwa drei Sekunden. Das heißt, wenn ich 20 Sekunden lang belichte, sind das sieben Gegenwartsmomente für diesen Menschen. Die Person denkt etwas, fühlt etwas und wenn ich den Deckel wieder auf das Objektiv setze, habe ich diese kleine Szene eingefangen. Kollodium kann die Zeit sichtbar machen; das bekommt man mit einer Belichtungszeit von 1/125 s nicht hin.
Jim Rakete hat den Gedankengang ähnlich in seinem Buch „1/8 sec.“ umgesetzt. Für ihn war darin schon 1/8 s eine sehr lange Belichtungszeit, aber die Grundidee ist dieselbe: In der Zeit passiert etwas. Es wird nicht mit einem riesengroßen Blitzknall etwas eingefroren, sondern man fängt das Leben ein. Das finde ich das Faszinierende an dieser Technik.
Der Mensch vor der Kamera wird quasi zum Schauspieler im eigenen Film.